Vorsicht Schule! Leben in schulischen Minenfeldern
Endlich ein Buch mitten aus der real existierenden Misere der Staatsschule - nicht aus einer besonderes katastrophalen oder vorbildlichen "Brennpunkt"-Schule, sondern aus dem alltäglich landesweiten Wahnsinn, und zwar in klug geführter Nahaufnahme, die ohne theorielastige Interpretation einfach für sich spricht: tägliche Tragödien, aber auch Komödien werden für den Außenstehenden hautnah fühlbar und sichtbar, wenn Schüler, Lehrer und Schulleitung oft hilflos und konzeptlos improvisieren, um die bürokratisch bestimmte Fassade der heilen Schulwelt aufrechtzuerhalten. Absurd bis kurios der Spagat zwischen den gut gemeinten Reformabsichten zum sozialen Lernen und dem Schulalltag, in dem wenige therapiebedürftige, halbkriminelle oder auch nur besonders zuwendungsbedürftige Schüler nicht nur vom Lehrer, sondern auch von den Mitschülern soviel Aufmerksamkeit abziehen, dass am Ende viele normalbegabte und normal sozialisierte Kinder kaum das Nötigste lernen und niemand mehr den guten Schulabschluss auf dem Papier ernst nehmen kann. Dramatisch die Situation vieler Lehrer, die, statt sich auf die pädagogische Aufgabe konzentrieren zu können, ihr Kraft für hilflose Versuche verschwenden müssen, gegen permanente Störungen Weniger eine positive Lernatmosphäre für die Vielen zu schaffen und zu erhalten - besonders in einem Umfeld ohne klare disziplinarische Strukturen und ohne Rückhalt bei Kollegen und Schulleitung, die auch ihrerseits vor lauter dringenden Fassadenarbeiten kaum zur Arbeit an der Statik kommen. Wagner-Preusse schreibt in betont schlichter Sprache und in anschaulich-analytischer statt abstrakter Form einen fesselnden Episodenroman. Ohne diesen Anspruch explizit zu stellen, ist es subversiv-libertäre Literatur, die geeignet ist, die richtigen Fragen zum staatlichen Zwangs-Bildungswesen zu befördern. Bei aller Ernsthaftigkeit und Bedrückung versteht die Autorin, Sonnenflecken zu plazieren und Hoffnung zu vermitteln - einerseits für ein Leben jenseits von Versorgungsbezügen, Pensionsanspruch und langen Schulferien, andererseits für Naturtalente, die kraft ihrer persönlichen Autorität auch unter den widrigsten institutionellen Umständen überwiegend lehren und lernen können. Wünschen wir unseren Kindern, sofern sie nicht auf Privatschulen ausweichen können, viele solcher Ausnahme-Pädagogen!
Hans Settembrini in "eigentümlich frei"
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